Esther ist leidenschaftlich engagiert für Menschenrechte und inklusive Organisationen. Sie war Geschäftsführerin der Plattform Asyl – FÜR MENSCHEN RECHTE in Innsbruck, wo sie von 2022 bis 2024 die operative und strategische Leitung verantwortete. Demokratiepolitisches Engagement liegt ihr besonders am Herzen. Sie setzt sich aktiv für die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Förderung einer offenen, pluralistischen Demokratie ein. Seit 2020 ist Esther zudem Vorstandsmitglied bei SETup e.V. und Teil der Community. Sie lebt in Innsbruck verbringt aber zurzeit ein paar Monate in Norwegen. Im Jahr 2024 stehen wir vor einem Superwahljahr, das mit weitreichenden politischen Entscheidungen verbunden ist. Gleichzeitig sind wir mit globalen und komplexen Herausforderungen konfrontiert, die teilweise auch unsere Demokratie auf den Prüfstand stellen. Doch gerade in diesen Zeiten zeigt sich auch die Stärke unserer demokratischen Systeme – In einer Demokratie liegt es an uns allen, und genau darin steckt enorm viel Potenzial, positive Veränderungen zu schaffen. Medial dominieren meist die Negativschlagzeilen, aber es gibt unglaublich viele Menschen, Organisationen und Initiativen, die sich unermüdlich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen und damit zuversichtlich in die Zukunft blicken und Mut machen. Diese Entwicklungen und Menschen ermutigen auch dazu, nach weiteren Wegen zu suchen, wie wir die Demokratie nicht nur schützen, sondern aktiv fördern und das Bewusstsein für die positiven Seiten und Möglichkeiten eines demokratischen Systems stärken können. Ein Beitrag zu dieser Frage könnte in einem unerwarteten Bereich liegen: dem Arbeitsplatz. Gerade der Ort, an dem wir einen Großteil unseres Lebens verbringen, kann als Schlüssel zur Förderung und Stärkung unserer demokratischen Werte dienen. Der Arbeitsplatz ist mehr als nur ein Ort, an dem wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Er ist ein Mikrokosmos der Gesellschaft und bietet eine vielversprechende Gelegenheit, demokratische Werte zu leben und zu erlernen. Statt politische Bildung auf Schulen, Universitäten und auf die Freizeit zu beschränken, sollten wir überlegen, wie wir demokratische Prinzipien dort integrieren können, wo Menschen tagtäglich interagieren und Entscheidungen treffen. Workplace Democracy, also die Anwendung demokratischer Prinzipien in der Arbeitswelt, bietet eine Möglichkeit, das Bewusstsein für politische Teilhabe zu fördern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Workplace Democracy: Wie kann das aussehen? Workplace Democracy bezieht sich auf die Integration demokratischer Prozesse und Prinzipien in die Unternehmensführung und den Arbeitsalltag. Dies kann viele Formen annehmen, darunter die aktive Einbindung der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse, transparente und offene Kommunikation sowie die Dezentralisierung von Entscheidungsgewalt und Verantwortung. Ziel ist es, den Mitarbeitenden mehr Autonomie und Einfluss auf ihre Arbeitsabläufe zu geben und gleichzeitig eine Kultur des Vertrauens und der Mitgestaltung zu fördern. Die Grundprinzipien der Workplace Democracy lassen sich in einige zentrale Bereiche unterteilen: Beteiligung von Mitarbeitenden: aktiver Einbezug von Mitarbeitenden in operative und strategische Entscheidungen, die das Unternehmen betreffen. Dies stärkt nicht nur das Gefühl der Zugehörigkeit, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein und die Motivation. Autonomie: Die Kontrolle über tägliche Arbeitsaufgaben, -zeit und -geschwindigkeit liegt bei den Mitarbeitenden. Diese Autonomie fördert Kreativität und Innovation, da Menschen ihre Arbeit selbstbestimmt gestalten können. Gewerkschaftliche Partizipation: Gewerkschaften spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung von demokratischen Entscheidungsprozessen und dem Schutz der Rechte der Arbeitnehmer:innen. Die Rolle des Arbeitsplatzes in der politischen Bildung Am Arbeitsplatz treffen Menschen aus verschiedenen Hintergründen aufeinander, müssen zusammenarbeiten, Konflikte lösen und Kompromisse finden – all das sind Fähigkeiten, die auch in einer lebendigen Demokratie unerlässlich sind. Reflexionsfähigkeit, Gesprächs- und Streitkultur, Kompromissbereitschaft, kritisches Denken, Empathie, Teamarbeit, Toleranz und Verantwortungsbewusstsein können im Arbeitsumfeld erlernt und vertieft werden. Diese Fähigkeiten sind essentiell in einer demokratischen Gesellschaft. Wenn Mitarbeitende am Arbeitsplatz lernen und erleben, wie demokratische Prozesse funktionieren können und sie sich aktiv daran beteiligen können, wird dieses Wissen und die damit verbundene Erfahrung auf andere Lebensbereiche übertragen. Spillover-Effekt: Vom Arbeitsplatz ins politische Leben Der Spillover-Effekt beschreibt, wie die Erfahrungen und Werte, die Menschen am Arbeitsplatz erwerben, ihr Verhalten in anderen Lebensbereichen beeinflussen können. Studien haben gezeigt, dass Mitarbeitende, die in ihrem Arbeitsalltag demokratische Prozesse erleben, ein stärkeres Interesse an politischer Teilhabe entwickeln. Wenn Menschen sehen, dass ihre Stimme am Arbeitsplatz zählt und sie aktiv zur Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung beitragen können, übertragen sie dieses Gefühl der Mitbestimmung oft auch auf ihre Rolle als Bürger:innen. Sie sind eher bereit, an Wahlen teilzunehmen, sich in politischen Diskussionen zu engagieren oder sogar selbst politische Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang betonen Timming und Summers (2018) in ihrer Studie: „Managerial practices centring on workplace democracy make employees more interested in wider democratic politics, thus resulting in what we call increased pro-democracy affect“. Dieser Effekt unterstreicht die Bedeutung von Workplace Democracy. Unternehmen tragen gesellschaftliche Verantwortung Unternehmen sind ein integraler Bestandteil der Gesellschaft und haben nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Eine gesunde Demokratie schafft stabile, gerechte und transparente Rahmenbedingungen, von denen Unternehmen langfristig profitieren. Gleichzeitig ist ein zunehmender Einfluss wirtschaftlicher Macht auf politische Prozesse zu beobachten, d.h. Unternehmen haben einen direkten Einfluss darauf, wie Demokratie und politische Teilhabe gesehen wird. Colin Crouch stellt in seinem Buch Post-Democracy fest: „If we have democracy in political life but not in economic life and if the weight of economic power grows relative to political power, then citizens might have reason to question how democratic society ‘really’ is and whether political democracy is ‘really’ of much relevance.“ Unternehmen, die demokratische Prinzipien in ihren Arbeitsalltag integrieren, tragen dazu bei, ein Umfeld zu schaffen, das langfristig zu stabilen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führt. Diese Stabilität ist nicht nur im Interesse der Mitarbeitenden, sondern auch im Interesse der Unternehmen selbst, da sie eine langfristige Planungssicherheit und ein positives Arbeitsumfeld fördern. Erfahrungen zu Workplace Democracy – Fragen zur Diskussion Workplace Democracy ist ein spannendes Konzept, das auf vielfältige Weise umgesetzt werden kann. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Mitarbeitende stärker in Entscheidungen eingebunden werden können, wie Kommunikation transparenter gestaltet und ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen werden kann. Von der Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen bis hin zur Förderung von Vielfalt und Inklusion oder Corporate Volunteering – die Ansätze sind so unterschiedlich wie die Unternehmen selbst. Mich interessiert sehr, welche Erfahrungen ihr in euren Organisationen gemacht habt. Welche konkreten Methoden oder Ansätze nehmt ihr als demokratisch wahr? Natürlich kommt es dabei auch darauf an, mit welcher Grundhaltung solche Methoden angewendet werden. Handelt es sich um oberflächliche Beteiligung oder um tiefgreifende Mitbestimmung? Denkt ihr, dass dieses Konzept tatsächlich einen Spillover-Effekt auf politische Teilhabe im größeren Sinne haben könnte? Wie müssen Ansätze dafür konkret ausgestaltet werden? Habt ihr das vielleicht sogar schon einmal erlebt? Ich lade euch ein, eure Gedanken und Ideen mit mir zu teilen. Es geht nicht darum, fertige Lösungen zu präsentieren, sondern gemeinsam über neue Wege nachzudenken. Fazit: Demokratie beginnt im Alltag Demokratie ist mehr als nur ein politisches System – sondern sie ist eine Lebensweise. Indem wir demokratische Werte in unseren Alltag integrieren (auch am Arbeitsplatz), können wir die Grundlagen für eine gerechtere und inklusive Gesellschaft schaffen. Unternehmen, die sich dieser Verantwortung stellen, leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Demokratie und zur Gestaltung einer besseren Zukunft für uns alle. Workplace Democracy kann mehr als nur ein modernes Konzept für Unternehmensführung sein – sie kann ein Baustein sein, um der gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens gerecht zu werden und die Demokratie zu stärken. Ich bin gespannt auf weitere Gedanken, Erfahrungen und Diskussionen zu diesem Thema! Wenn du willst, schreibe mir gerne unter esther.roethlingshoefer@googlemail.com und wir können uns weiter darüber austauschen. Quellen: Crouch, C. (2004). Post-democracy. Polity Press. Hatcher, T. (2007). Workplace democracy: A review of literature and implications for human resource development. In Proceedings of the Academy of Human Resource Development International Research Conference in The Americas (pp. 1-16). Academy of Human Resource Development. https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED504672.pdf Timming, A., & Summers, J. (2018). Is workplace democracy associated with wider pro-democracy affect? A structural equation model. Economic and Industrial Democracy, 39(4), 1-18. https://doi.org/10.1177/0143831X17744028
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