Johannes Völlenklee ist Experte für Soziale Innovation und die Entwicklung neuer innovativer Social Businesses. Er ist Co-Gründer des Impact Hub Tirol und seit dem ersten Berufsjahr unternehmerisch aktiv. Seit 2016 ist er in unterschiedlichen Rollen in die Innovationsprozesse von SOS-Kinderdorf Österreich eingebunden. Seine beruflichen Erfahrungen motivieren ihn, auch weiterhin an konkreten Verbesserungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu arbeiten.

 

Wir leben in Zeiten großer Unsicherheiten. Die Finanzkrise 2008, seitdem weitere regionale Wirtschaftskrisen, Krieg in Europa und nicht zuletzt die globale Klimakrise tragen in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zu Sorgen und Ängsten bei. Befeuert durch die Finanzkrise 2008 und weiteren wirtschaftlichen Krisen, steht auch unser global-vernetztes Wirtschaftssystem auf dem Prüfstand. Und die Klimakrise zeigt, dass wir Menschen und unser Planet unter Stress stehen und das neoliberale Wirtschaftssystem – wie es sich seit den 1990er Jahren mit großer Geschwindigkeit weltweit etabliert hat – in Frage zu stellen ist. Das Festhalten an einem stetigen Wirtschaftswachstum mit hohen externen Kosten, erscheint zunehmend verantwortungslos und nicht mehr zukunftsfähig.

Überrascht müssen wir darüber aber nicht sein, denn schon vor Jahrzehnten zeigten kritische Analysen, wie jene des Club of Rome*, dem Kapitalismus in der Form des neoliberalen Wirtschaftssystems die Grenzen des Wachstums auf. Zukunftsfähiges Wirtschaften im 21. Jahrhundert kann nur mehr gelingen, wenn wir Natur und Mensch in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen und die endlichen planetaren Ressourcen akzeptieren.

Und damit stecken wir in einem Dilemma, denn letzten Endes baut unser (westlicher) Wohlstand und die verbesserten Lebensbedingungen in vielen Schwellenländern auf ein global wachsendes Wirtschaftssystem auf. Das alles geschieht nachweislich sehr oft auf Kosten und unter Ausbeutung dritter Staaten und den Menschen in strukturschwachen Regionen.

Daher liegt es an unserer Generation, eine Transformationsphase voranzutreiben, in der wir in der Auseinandersetzung mit den Ängsten und Bedürfnissen der Menschen eine Vision für eine positive Zukunft verfolgen – ein regeneratives und nachhaltiges Wirtschaftssystem wird als Motor dafür dienen.

Diese Transformation kann nur gelingen, wenn wir die unmittelbaren Lebenswelten der lokalen Bevölkerung in den Blickpunkt der wirtschaftlichen Transformation rücken. Jene persönlichen Lebensbereiche mit komplexen Herausforderungen, für die wir positive Lösungen entwickeln müssen und gleichzeitig die negativen Folgen beseitigen oder verringern müssen.

Ich bin überzeugt, der Erfolg oder Misserfolg der wirtschaftlichen Transformation wird von den Lösungen sozialer Herausforderungen und positiver Zukunftsbilder abhängen. Im Alpenraum und auf der Welt – die soziale Frage ist die systemrelevante Frage und ist entscheidend für den Übergang von einem neoliberalen in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem, das uns als Motor dient.

Wir alle spüren auch bei uns in Österreich, die gesellschaftlichen Herausforderungen sind vielfältig, betreffen alle Gruppen und sind unabhängig von Alter oder Herkunft. Und gerade wenn es um die eigenen unmittelbaren Lebensbereiche geht – den Wohnort, den eigenen Bildungsweg, den Arbeitsplatz, die familiären Verhältnisse oder den eigenen Betrieb – wollen wir den Auswirkungen nicht ohnmächtig gegenüberstehen. Und das müssen wir auch nicht!

Partizipation und Mitgestaltung als Hebel

Gerade hier liefern uns Innovationen und neue sektorenübergreifende Kooperationen eine Möglichkeit, aus der Passivität und Ohnmacht einer einzelnen Person, Kommune oder Organisation auszubrechen. Wir können Krisen in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen mit neuen Denkmustern begegnen, wir können Bestehendes aufbrechen, ohne es zu zerstören. Große Unternehmen können hier im Rahmen ihrer ESG* Bestrebungen beim Sozialen „S“ besondere Hebel in Ganz setzen. Aber wie so oft sind es meist die kleinen, wendigen Organisationen die hier Vorreiterrollen einnehmen.

Deshalb möchte ich hier beispielhaft ein paar mutige und innovative Konzepte nennen, die Partizipation und regionale Mitgestaltung „bottom-up“ möglich machen:

  • Persönliche Zukunftsängste und Frust bei Jugendlichen können wir mit echter Partizipation und Beteiligung begegnen so wie YEP (www.yep.at) dies gerade vorzeigt oder wie das SKIL Jugend-Innovationslabor für Gemeinden. Oder wie der Ansatz von Pathfindr, das Jugendlichen auf Social Media Plattformen persönliche Beratung zur beruflichen und schulischen Bildungsorientierung gibt.
  • Große Herausforderungen bestehen zu Fragen rund um die Betreuung und Pflege von Angehörigen. Hier sind innovative Konzepte gefragt, wie der digitale Ansatz von Alles Clara, App und Netzwerk für pflegende Angehörige.
  • Die nachhaltige Transformation des Energiesektors regelt die Machtverhältnisse neu und schafft mit Unterstützung von innovativen Unternehmen wie Autonoma Energy eine Neuordnung, in der wir Konsument:innen Energie selbst produzieren und selbstbestimmt verteilen.
  • Die ökologische und regionale Lebensmittelversorgung, die von Agrarlobbies gerne belächelt und in Frage gestellt wird, kann durch mutige Vorreiter wie dem Vetter Hof in Vorarlberg oder neuen Konzepten gegen Lebensmittelverschwendung wie der genossenschaftlich organisierten Feld:schafft oder dem Naturschutzhof Going Artenreich am Wilden Kaiser gestärkt werden.

Mit dieser kleinen Auswahl an lokalen Social Business Konzepten möchte ich zeigen, wie mutige Menschen und Organisationen als Teilnehmer der Gesellschaft „das, was falsch läuft“ aufgreifen und positive Veränderungen anstoßen, die für Mensch, Natur und Wirtschaft neue Wege ebnen.

In Tirol und im Alpinen Wirtschaftsraum sehen wir uns mit lokalen Herausforderungen konfrontiert, die sich ohne Frage oft deutlich von jenen der Großstädte Südamerikas oder den Bauerndörfern Indiens unterscheiden. Was uns aber vereint, ist der Wunsch nach Frieden und Glück, einem ausreichenden Einkommen und einen lebenswerten Planeten, für uns, unsere Kinder und Enkelkinder.

 

Literatur Tipps und Nachlese:

  • Die Schatten der Globalisierung, Joseph Stiglitz, BpB Verlag, 2003
  • Verteigung der Gobalisierung, Jagdish Bhagwati, C Bertelsmann, 2008
  • Weniger ist mehr, Jason Hickel, Oekom Verlag, 2022
  • Der Schwarze Schwan, Nassim Nicholas Taleb, Hanser Verlag, 2019
  • Die Wiederbegrünung der Erde, Jochen Schilk, Drachen Verlag, 2019

 

Fußzeile:

* Die Grenzen des Wachstums | Deutsche Gesellschaft CLUB OF ROME

** ESG-Kriterien I Wikipedia und ESG ist eine strategische Führungsaufgabe I respACT