Ein Beitrag über feministische Wirtschaft und Care

Lena ist seit 2023 Teil des Impact Hub Teams. Sie engagiert sich seit langem in verschiedenen Räumen und Rollen für mehr Gleichheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Die Überzeugung, dass eine gerechte Gesellschaft und ein gutes Leben für alle untrennbar mit einer regenerativen Wirtschaft verbunden sind, bringt sie zum Impact Hub. Während ihrer Studien in den Bereichen Management, Tourismus und Marketing hat sie sich besonders auf ein queer-feministisches Wirtschaftsverständnis und intersektionale Machtanalysen spezialisiert. Ein kritisches Reflektieren von Privilegien sowie des eigenen Denkens und Handelns hält sie für essentiell auf dem Weg zu einer impact-orientierten Wirtschaft. 

Eine Frau* pflegt ihre alte Mutter, daheim, in stundenlanger Arbeit jeden Tag, badet, geht spazieren, kocht, unterhält sich mit ihr, geht mit aufs Klo, wischt Hintern und Sabber ab, ist nachts immer in Rufbereitschaft. Nebenbei kümmert sie sich um den Haushalt. Die Kinder. Das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter. Und so weiter. Und so fort.

Ein Mann kontrolliert indes Fahrscheine, hält Meetings, zieht mit dem Traktor über’s Feld, verhandelt Deals, blickt auf Bildschirme, schleppt Ziegelsteine.

Was der große Unterschied ist, der diese zwei Arten von Arbeit voneinander unterscheidet?

Der Wert, den wir ihr zumessen. Die Arbeit der pflegenden Frau* ist nämlich nichts wert. Die Arbeit der Anderen, der Männer, ziemlich viel. Zumindest, wenn man unseren Wirtschaftsstatistiken Glauben schenkt.

Unsere Wirtschaft ist von Männern für Männer gemacht.

Unsere Wirtschaft beruht auf Leistung, auf Produktionsstatistiken. Die prominenteste wirtschaftswissenschaftliche Kennzahl ist nach wie vor das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP. Es zeigt an, wie viel in einem Land in einem bestimmten Zeitraum wirtschaftlich geleistet wurde. Es misst die Produktion, die Importe, sagt uns, ob unsere Wirtschaft wächst oder ob sie stagniert.

Was das BIP aber nicht misst, und auch keine andere der gängigen wirtschaftlichen Kennzahlen ist die Arbeit der Hälfte der Bevölkerung eines Staates.

Kochen, Waschen, Putzen, Erziehen, Pflegen, Trösten – das alles sind Aufgaben, die seit knapp 200 Jahren Frauen übernehmen. 200 Jahre – doch wohl eher 200.000, oder? Natürlich gibt es die Aufgaben oben seit jeher, sie sind schließlich überlebensnotwendig (über das Putzen lässt sich natürlich streiten…). Worauf ich aber anspiele, ist die Idee einer vermeintlich natürlichen und biologischen Verschiedenartigkeit der Geschlechter, die im 19. Jahrhundert im Zuge der Aufklärung in ganz Europa und folglich in weiten Teilen der Welt Fuß fasste. Bis in die Zeit der frühen Aufklärung war, was die Handlungsmöglichkeiten eines Individuums betraf, die Herkunftsfamilie entscheidend, nicht in erster Linie das Geschlecht. Erst mit der Abschaffung der Ständegesellschaft wurden Frauen* in ein derart enges Rollenkorsett gezwängt, das sie in scharfe Differenz zum „männlichen Bürger“ stellte und systematisch aus der ökonomischen und politischen Einflusssphäre verdrängte. Frauen* wurden also in eine häusliche Sphäre der unbezahlten Care Arbeit verdrängt, während Männer zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit angehalten waren. Diese starre Rollenverteilung hielt sich in den kommenden Jahrhunderten weitestgehend aufrecht und wurde durch das Aufkommen eines „Turbokapitalismus“ nach dem Ende des 2. Weltkrieges noch verstärkt. Nur durch die unbezahlte Übernahme fast aller Sorgearbeit von Frauen* ließ sich die 40-60 Stunden Woche des lohnarbeitenden Familienvaters und „Ernährers“ bewerkstelligen.

Aber das hat sich doch bis heute geändert, oder? Heute, 106 Jahre nach Einführung des Frauen*wahlrechts in Österreich, über 50 Jahre nach der „Lohn-für-Hausarbeit-Debatte“, 45 Jahre nach der Einführung des „Bundesgesetz über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben“? Fakt ist: Care Arbeit ist nach wie vor größtenteils Frauen*sache. Was sich aber geändert hat ist, dass viele Frauen*, aufgrund eines sich verändernden Rollenbilds und der Möglichkeit der beruflichen Selbstbestimmung, aber auch aufgrund von finanzieller Notwendigkeit, heute einer Doppelbelastung, nämlich Erwerbs- und gleichzeitiger Care Arbeit ausgesetzt sind.

Ohne die unbezahlte Arbeit, die Frauen* Tag für Tag leisten, würden unsere Gesellschaften zusammenbrechen. Fabriken und Schulen müssten schließen, Krankenhäuser würden kollabieren, kein Bus oder Zug würde mehr verkehren. Denn:

Während Österreicher:innen im Jahr 9,5 Milliarden Stunden erwerbstätig sind, verrichten sie neun Milliarden Stunden unbezahlte Care Arbeit. Eine Wirtschaft also, und noch eine „andere Wirtschaft“? Einziger Unterschied: Die erste Form, jene der bezahlten Lohnarbeit nehmen wir gesellschaftlich als Arbeit wahr, als wichtigen Beitrag zur Steigerung von Wohlstand und Produktion eines Landes. Die zweite, die unbezahlte Care-Arbeit, ignorieren wir.

Wenn wir diese unbezahlte Arbeit mit einem monetären Wert bemessen, dann entsprechen diese neun Milliarden Stunden bei einem Durchschnittslohn der personenbezogenen Dienstleistungen 100 bis 105 Milliarden Euro, das sind zwischen 27 und dreißig Prozent des BIP.

Im Schnitt machen Frauen* in Österreich zwei Drittel der unbezahlten, Männer zwei Drittel der bezahlten Arbeiten. Frauen* in Österreich leisten im Jahr also über 6 Milliarden Stunden an unbezahlter Care-Arbeit. Über 6 Milliarden, das ist in Zahlen: 6 602 546 320. Das wären, wenn man diese Stunden entlohnen würde, etwa 57 Milliarden Euro – ca. 13 % der österreichischen Wirtschaftsleistung insgesamt. Zum Vergleich: Der gesamte Tourismus in Österreich trug 2022 etwa 6,2% zum BIP bei, das Bauwesen 4,8%.

Eine beeindruckende Leistung, oder? Eine Leistung aber auch, die bis zum heutigen Tag keinen Eingang in die Bemessung unserer Wirtschaft gefunden hat. Und die somit ungesehen, unbemerkt, unberücksichtigt bleibt. Denn es geht hier nicht nur um Anerkennung und Wertschätzung, es geht vielmehr um handfeste politische Maßnahmen, etwa in der Fiskalpolitik: Da unbezahlte Care-Arbeit nicht in unsere Wirtschaftsrechnung einfließt, wird sie nicht in politischen Entscheidungen miteinbezogen. Wenn die Politik nun etwa Steuererhöhungen oder Sparmaßnahmen beschließt, kann man in etwa prognostizieren, wie sich das auf die Wirtschaft auswirkt – nicht aber, wie sich die Maßnahmen auf die unbezahlte Arbeit auswirkt.

Folgendes Beispiel hilft zu verstehen, welche Folgen es hat, dass unbezahlte Care Arbeit nicht in unserer Wirtschaftsrechnung erfasst wird:

Wenn eine Finanzkrise die Wirtschaft erschüttert und der Staat seine Sozialausgaben kürzt, etwa indem Pflegeheime geschlossen werden, helfen wieder einmal die Frauen* aus, und pflegen kranke und alte Menschen zuhause. Dann nimmt die unbezahlte Arbeit zu, denn Frauen haben durch die Care Arbeit weniger Zeit für bezahlte Arbeit. Einige der Folgen: Gesteigerte Abhängigkeit vom Einkommen des Partners – einer der Hauptgründe warum etwa Frauen*, die unter häuslicher Gewalt leiden, ihren Partner nicht verlassen. Aber auch fehlende Einzahljahre in die Altersvorsorge, was wiederum niedrige Renten und Altersarmut unter Frauen verstärkt. Oder auch: Arbeit in Teilzeit, die nachweislich schlechter bezahlt ist und mit verminderten Aufstiegs- und Karrierechancen einhergeht.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Unbezahlte Sorgearbeit ist eine wichtige Basis gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklung. Doch wer pflegt, sorgt, füttert, vorliest, einkauft, putzt und tröstet, hat weniger Zeit, um Geld zu verdienen. Und bleibt somit finanziell abhängig von anderen Personen, denen diese Arbeiten abgenommen werden, in den meisten Fällen ist das ein arbeitender Partner. Dennoch wird Sorgearbeit weder als Arbeit ernstgenommen (geschweige denn der Erwerbsarbeit gleichgestellt – denn „das bisschen auf die Kinder schauen geht ja nebenbei“), noch in ihrer gesellschaftlichen Relevanz ausreichend erkannt. „Gute Pflege, eine positive frühkindliche Entwicklung und soziales bzw. bürgerschaftliches Engagement stellen Grundpfeiler einer modernen, demokratischen Wissensgesellschaft dar – doch diese lässt ihre Sorgearbeiter:innen zum unsichtbaren Prekariat werden.“ (Susanna Woresch, 2011, Abs. 12)

Unbezahlte Care Arbeit steht also schlecht da. Und die bezahlte? Leider auch.

Aber auch bezahlte Care Arbeit, etwa in Krankenhäusern, Kindergärten und Kitas, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und in Altenheimen hat ein gemeinsames Problem: Nämlich die chronische Unterfinanzierung. Und wieder sind die Betroffenen, die in diesen Branchen mit wenig Prestige und geringer Bezahlung arbeiten, hauptsächlich Frauen*.

Die Pandemie hatte uns, so glaubten wir damals, die Wichtigkeit dieser sogenannten systemrelevanten Berufe gezeigt.  Was haben wir auf den Balkonen gestanden und geklatscht, haben endlich auf die unzureichende Ausstattung des Pflegebereichs geschaut und Besserung gelobt. Aber was hat sich nun, vier Jahre später, tatsächlich geändert? Nichts. Zumindest nicht zum Positiven. Denn Regierungen und Unternehmen vernachlässigen diesen lebensnotwendigen Bereich der Wirtschaft weiterhin. Zwar steht das Thema „Pflege“ auf so gut wie jedem Regierungsprogramm – doch in der Realität sehen sich Institutionen und Organisationen, die sich primär dem Kümmern um andere Menschen verschrieben haben, mit einer neoliberalen Marktlogik, konkret also Kürzungen, Personalmangel und zunehmender Privatisierung konfrontiert.

Das Grundproblem: Die soziale Komponente dieser Berufe. Pflegeberufe lassen sich nicht einer klassisch kapitalistischen Verwertungslogik unterwerfen. Sie können nicht mit „Produktivität“ und „Effizienz“ gemessen werden. Wie Mascha Madörin es formuliert: „Man kann zwar Autos und Medikamente schneller produzieren. Aber kann man schneller Kinder aufziehen? Kann eine gut ausgebildete und engagiert Ärztin noch gut arbeiten, wenn sie im Durchschnitt nur noch 10 Minuten pro Konsultation zur Verfügung hat?“ (2006, S.292) In einem Krankenhaus oder einem Kindergarten zählen andere Aspekte als im klassisch produzierenden Gewerbe: Es geht um Qualität, an der soziale Aspekte einen großen Anteil haben. Wer mit genügend Zeit und Fürsorge gepflegt wird, kann schneller genesen. Kinder, deren Erzieher:innen genügend Vorbereitungszeit haben, lernen nachhaltiger und sind dabei glücklicher. Um eine gute Qualität der bezahlten Care-Arbeit zu erreichen, braucht es vor allem eins: leistungsgerechte Bezahlung und Reduktion der Arbeitszeit. Dafür müssen wir aber zuerst den Stellenwert dieser Wirtschaftszweige für unsere Gesellschaften re-evaluieren und entsprechend unsere Mittelverteilung neu gewichten.

Was wir brauchen, ist eine Care Revolution!

Notwendig, um oben beschriebene Transformationen möglich zu machen, ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftswissenschaften: wir brauchen eine Care Revolution! Ökonomische Theorie muss um den unbezahlten Bereich mit seinen besonderen Merkmalen erweitert werden, damit auch der Wert von immateriellen Ressourcen wie Emotionalität und „Sorge“ als Ressource in das System einberechnet wird.

Eine der wesentlichen Ideen der feministischen Ökonomie ist es, Wirtschaftssysteme von der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit aus zu denken, zu analysieren und zu modellieren. Ansätze einer Care Ökonomie fragen nicht in erster Linie nach Profit und Effizienz, sondern nach Voraussetzungen und Sinn des Wirtschaftens, nach dem Wert materieller wie immaterieller Ressourcen und nach der Lebenswelttauglichkeit wirtschaftlichen Handelns.

Die Entwicklung der Care-Ökonomie als eigenständigem und anerkannten Bereich mit etablierten Methoden sowohl in Wirtschaftswissenschaft wie auch ökonomischer Praxis ist unumgänglich auf dem Weg hin zu einer gerechten und regenerativen Wirtschaft. Wenn wir es schaffen, lebenserhaltender und -schaffender Arbeit den Wert beizumessen, den sie verdient, sind wir auf einem guten Weg, unser aller Leben und Wirtschaften zum Besseren zu verändern.

 

Quellen:

 

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