Was Bosch, Patagonia und Einhorn Kondome zu Pionierinnen macht

Annika ist seit August 2023 als Community & Space Managerin Teil des Impact Hub Teams und ist fest davon überzeugt, dass soziales Unternehmertum ein entscheidender Schlüssel für gesellschaftlichen Wandel ist. Während ihres Studiums sammelte sie Berufserfahrung in einem Start-Up, das zirkuläres Wirtschaften vorantreibt. Für sie spielen eine praxisnahe Hands-On-Mentalität und die Verbindung zur realen Welt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Business als Hebel für nachhaltige Transformation zu nutzen…

Unternehmen fordern in einem offenen Brief danach, Jurist:innen entwerfen neue Gesetzestexte dafür und Studierende, wie ich vor zwei Jahren, schreiben ihre Thesis darüber. Die Rede ist von Verantwortungseigentum und der Einführung einer neuen Rechtsform, die diese Art von Wirtschaften umsetzbar macht – und das stößt auf Begeisterung: Unter den Unterstützer:innen der geplanten Rechtsform finden sich Unternehmen jeden Alters (Startup bis etablierter Mittelstand) und sämtlicher Branchen (Produkthersteller bis Digital Dienstleister) wieder. Die neue Rechtsform soll es leichter machen, unternehmerisches Handeln werte- statt profitorientiert auszulegen. Erstaunlich dabei: Verantwortungseigentum ist eine Art zu wirtschaften, die innovativ, wie altbewährt ist und von Patagonia und Bosch bereits umgesetzt wird. Auf der Suche, wie wir Gemeinwohl wieder glaubhaft und ehrlich in unserem Wirtschaftssystem verankern können, bin ich darauf gestoßen und seitdem on fire. 

Zur Auffrischung: unser Wirtschaftssystem ist auf Maximierung von Gewinnen ausgerichtet. So wie wir es aktuell praktizieren, wird es uns nicht aus den diversen Krisen des 21. Jahrhunderts heraus helfen. Vielmehr hat uns ein permanentes Streben nach Gewinnmaximierung in genau diese Finanz-, Wirtschafts-, Umwelts- und Gesundheitskrisen geführt. Und das hat mit der Umkehrung von Mittel und Zweck im Unternehmer*innentum zu tun.

Was bedeutet das? Das Hauptziel von Unternehmen (und dahinterstehenden Individuen) ist Profitmaximierung, oder um es kapitalismuskritisch auszudrücken: die Akkumulation von Kapital. Der eigentliche Zweck wirtschaftlicher Aktivitäten, für das Auskommen einer Gesellschaft zu sorgen, wird hintergründig. Der wirtschaftliche Druck und die historisch entstandene Auslegung, zugunsten der Anteilseigner zu wirtschaften, bringt eine Bandbreite an richtig miesen Auswirkungen mit sich: negative Auswirkungen auf die Umwelt, auf die Arbeitsbedingungen und die soziale Gerechtigkeit. Sowie die Ausbeutung von Arbeitskräften, Umweltzerstörung, die ungleiche Verteilung von Ressourcen und damit einhergehende gesellschaftliche Spannungen. 

Klar schwindet so das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem.

Von profit-first zu purpose-first

Dabei haben Unternehmen eigentlich ihre ganz eigens gesteckten Ziele, die sie erreichen wollen; der Unternehmenszweck oder auf englisch Corporate Purpose. Hier eine Auswahl an Marken und ihrem Purpose, der durch ihre wirtschaftliche Aktivität erzielt werden soll: 

  • Barbie: We exist to inspire the limitless potential in every girl.

  • Dr. Oetker: Creating a taste of home.

  • Deutsche Bahn: Unser innerstes Anliegen ist eine starke Schiene für Deutschland.

  • Patagonia: We’re in business to save our home planet.

  • Blackrock: We (exist to) help more and more people experience financial well-being.

Unbestritten, dass die Statements erstmal alle gut klingen.

Mit dem Wissen, dass all diese Unternehmen jedoch immer noch den Spielregeln des Kapitalismus folgen müssen, wird klar: die Priorisierung von Purpose und Gewinnerzielung kann ganz schön unterschiedlich ausgelegt werden. Kommt der Purpose, nachdem Profit erzielt wurde? Tritt er parallel dazu auf? Oder wird Profit dem Purpose untergeordnet? 

Fazit: Zu oft wird der Corporate Purpose als Marketinginstrument missbraucht. Dieses Verhalten erschwert es den Unternehmen, die ihren Purpose als primären Unternehmenszweck sehen, glaubhaft zu bleiben.

Und genau so soll durch Verantwortungseigentum durch zwei Prinzipien für Klarheit geschaffen werden:

Selbstbestimmung und Purpose-Orientierung

Selbstbestimmung: Die Stimmrechte eines Unternehmens sind weder vererblich noch verkäuflich. Das Unternehmen kann nicht zum Spekulationsgut werden, die Stimmrechte liegen stets bei Unternehmer:innen, die mit dem Unternehmen und dessen Mission direkt verbunden sind: Treuhänder bzw. Stewards, keine Fremd-Eigentümer.

Purpose-Orientierung: Gewinne werden als Mittel zum Zweck betrachtet und nicht als Selbstzweck. Der im Unternehmen geschaffene Wert kann nicht zum persönlichen Nutzen der Eigentümer:innen entnommen werden. Stattdessen werden Gewinne reinvestiert, zur Deckung von Kapitalkosten verwendet oder gespendet, um den Zweck des Unternehmens zu unterstützen.

Da es im deutschen Gesellschaftsrecht noch keine Rechtsform gibt, die Verantwortungseigentum unkompliziert umsetzbar macht, wird sich bisher mit verschiedenen Modellen beholfen. Den Einzel- und Doppelstiftungsmodellen und dem Veto-Share Modell. 

Bosch ist ein Beispiel für ein Unternehmen mit Doppelstiftungsmodell. Kleine Randnotiz: Dieses Doppelstiftungsmodell forderte 40 verschiedene Anwält:innen die 22 Jahre lang für Bosch ein Stiftungsmodell erarbeiteten. Aufgrund dieses Aufwandes erscheint die Umsetzung der Stiftungsmodelle für kleine, dynamische Start-Ups und mittelständische Unternehmen kaum umsetzbar.

Solange es die neue Rechtsform also noch nicht gibt, bietet die Purpose Stiftung mit dem Veto-Anteil Modell eine Lösung. Alle Unternehmen, die in Verantwortungseigentum überführt werden oder direkt darin gründen möchten, übergeben 1% der Stimmrechte an die Purpose Stiftung. Im Falle eines Unternehmensverkauf, oder einer Satzungsänderung, welche die Trennung von Stimm- und Dividendenrechten unterminieren würde, kann die Stiftung Veto einlegen. 

Klar ist: Es braucht eine neue Rechtsform, die Verantwortungseigentum einfach umsetzbar macht. In Deutschland ist das auch schon angedacht. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien sieht eine Rechtsform vor, die die GmbH mit gebundenem Vermögen ermöglichen soll.

Für wen das Ganze?

Der Mittelstand braucht mehr Optionen, damit Nachfolgefragen individuell passend gestaltet werden kann. Die Eigentümerposition soll dadurch auch für Menschen unabhängig der genetischen Familie geöffnet werden.

Start-ups einer neuen Generation streben keinen Exit an, sondern wollen langfristig agierende mittelständische Unternehmen auf gelebten Werten aufbauen. Eine wachsende Zahl benötigt dafür den passenden rechtlichen Rahmen.

Sozialunternehmen brauchen die Möglichkeit, gewerblich zu wirtschaften und dabei sicherzustellen, dass Unternehmensvermögen und Gewinne dem Unternehmenszweck und ihrer Mission dienen. 

Das Revolutionäre am Verantwortungseigentum?

Es ist die Entscheidungsgrundlage, die sich fundamental ändert, sobald die Gewinne nicht mehr privatisiert werden dürfen. Unternehmen gehören sich selbst, ihr Zweck steht im Vordergrund. Kritiker:innen stellen gerne in Frage, ob die Auslegung der Eigentumsstruktur von Unternehmen tatsächlich zu nachhaltigerem Wirtschaften führt. Berechtigt. Aber: ich halte dagegen. In uns Menschen steckt das Gute. Lieber würden wir Menschen fair bezahlen, statt Kinder für uns produzieren zu lassen. Lieber würden wir Tiere artgerecht auf der Weide schlachten lassen, statt massenhaft in furchtbaren Schlachthöfen. Lieber würden wir regionales Essen für unsere Kitas und Krankenhäuser beziehen, anstatt Tiefkühlware zu importieren. Davon bin ich überzeugt.

Klar ist: wir brauchen eine Rechtsform für Verantwortungseigentum, um den Einstieg in ein neues Wirtschaften zu ermöglichen und der Doktrin der Profitmaximierung ein gutes Leben für alle entgegenzusetzen.

Ein „Fundamental re-Framing on how we do business“ (Michael Porter) ist nötiger denn je und Verantwortungseigentum ein sinnvoller Schritt in diese Richtung. Eine Neuauslegung der Ziele und dem Sinn des Wirtschaftens wird von den Unternehmen, die bereits in Verantwortungseigentum sind, eindrücklich und konstruktiv vorgelebt. So kann es zu einem Wettbewerb unter neuen Bedingungen kommen, bei welchem die erfolgreichsten Akteur:innen diejenigen sind, von denen am meisten gesellschaftlicher Mehrwert ausgeht.

Neugierig? Hier gibt’s weitere Ressourcen zum Thema

  • Für einen generellen Überblick: “Corporate Purpose – Das Erfolgsrezept der Zukunft” (Bruns, Jeromin, 2020)